Gastland Italien 2024
Verschiedene Aktivitäten
Zeitgleich zur feierlichen Eröffnung des Masters Internationale Literaturen und Buchmärkte war im Oktober 2024 wieder Italien Gastland auf der Buchmesse – nachdem es 1988 als erstes Gastland in der Geschichte der Buchmesse mit Autor:innen wie Umberto Eco und Dacia Maraini in Frankfurt präsent gewesen war.
Die ersten Studierenden unseres Masters waren von Anfang an in zahlreiche Aktivitäten rund um die Buchmesse involviert. Sie führten Interviews mit Autor:innen durch (darunter Anna Giurickovic Dato und Mario Desiati) sowie mit der Annie-Ernaux-Übersetzerin Sonja Finck, die für ein Roundtable-Gespräch mit der Autorin Maddalena Fingerle zu uns nach Frankfurt gereist war.
Sie beteiligten sich aber auch bereits im Sommer aktiv an der Planung und Bewerbungen der Lesungen, die im Rahmen des Gastlandsauftritts in der Deutsch-Italienischen Vereinigung Frankfurt stattfanden. Diese Veranstaltungen hatten zum Ziel, italienische Vertreter:innen des Literaturbetriebs mit Partner:innen aus anderen Ländern ins Gespräch zu bringen: So sprach die römische Autorin Igiaba Scego am 17.10.24 mit der deutschen Schriftstellerin Isabelle Lehn; die in Berlin und Toronto lebende Sonja Finck am 20.10.24 mit der aus Südtirol stammenden Maddalena Fingerle.
Doch auch jenseits von Italien waren wir aktiv.
Für den neuen Master hatte die Buchmesse Frankfurt dem Master Internationale Literaturen und Buchmärkte einen eigenen Stand in Halle 4.0 zur Verfügung gestellt. Dort empfingen Lehrende und Studierende des Masters unter anderem Lucie Campos (Direktorin der Villa Gillet, Lyon) und sprachen mit ihr über Kooperationsmöglichkeiten. Dort erzählte uns Andreas Jandl (Verband der Übersetzer) von den Auswirkungen der KI auf den Beruf des Übersetzers. Wir interviewten am Stand auch die katalanische Autorin Ennatu Domingo, mit der wir am 18.10.2024 eine Abendveranstaltung in der Romanfabrik organisierten.
Rückschau auf die Veranstaltungen zum Gastland Italien
Am 13.10.2024 führten PD Dr. Eva-Tabea Meineke und Prof. Dr. Christine Ott im Gespräch mit hr2-kultur-Moderator Martin Maria Schwarz im Haus des Buches in die Literaturgeschichte des Gastlandes ein. Wie groß das Interesse an dieser im Rahmen des von Lothar Ruske alljährlich durchgeführten Literaturbahnhofs angebotenen Rückschau auf kanonische und weniger kanonische Autor:innen war, zeigte sich an dem großen Publikumsandrang.
Am 17.10.2024 führten Anouk Sonntag und Christine Ott am Master-Stand ein Interview mit Mario Desiati durch, dessen Roman Spatriati 2022 den Premio Strega gewonnen hatte und 2024 ebenfalls mit dem Titel Spatriati beim Wagenbach Verlag (Berlin) erschienen war. Sie sprachen mit dem Autor über zentrale Themen des Buches wie (Un-)Zugehörigkeit, Auswanderung, Freundschaft und Liebe. Desiati erzählt in seinem Text vom Weggehen und Ankommen, vom Fremdsein und dem Zu-sich-Finden – Erfahrungen, die der Autor mit seinen Figuren teilt.
Am 18.10.2014 fand in der Deutsch-Italienischen Vereinigung Frankfurt eine zweisprachige Lesung mit Anna Giurickovic Dato statt; im Anschluss interviewten Lilly Fuß und Simon Prahl mit Unterstützung von Gloria Putrone und Isabella Terán die Autorin. Ihr Roman La figlia femmina (2017), über den im Interview gesprochen wurde, erschien 2018 in deutscher Übersetzung von Annette Kopetzki bei Piper. Er behandelt das Thema eines Missbrauchs des Vaters an seiner minderjährigen Tochter. Die Mutter, die im Roman spricht, verwebt Erinnerungen an das scheinbare Familienidyll mit ihrer gegenwärtigen Situation und reflektiert über das derzeitige Zusammenleben mit ihrer Tochter. Der Roman eröffnet die Möglichkeit, die Darstellung des weiblichen Körpers sowie Narrative und Abhängigkeiten in Ehen zu hinterfragen. Im Gespräch mit Anna Giurickovic Dato, die neben ihrer Tätigkeit als Schriftstellerin auch Juristin ist, wurde deutlich, dass es der jungen italienischen Autorin ein besonderes Anliegen ist, über schwierige und traumatische Themen wie Kindesmissbrauch und Essstörungen zu schreiben und diese in ihren Romanen literarisch zu verarbeiten.
Am 20.10.2024 diskutierten auf der Buchmesse die Literaturwissenschaftlerin Eva-Tabea Meineke und der Kulturwissenschaftler Robert Lukenda mit der italienischen Germanistin und Autorin Maddalena Fingerle und der Übersetzerin Sonja Finck über Sprachmischung in der Literatur, Sprachen des Populismus, die Herausforderung des Literaturübersetzens und neue Tendenzen auf dem italienischen, französischen und deutschen Buchmarkt. An dieser Roundtable waren mehrere Institutionen innerhalb und außerhalb Frankfurts beteiligt: der Verband deutschsprachiger Übersetzer:innen, das RMU-Italienforum, das Institut franco-allemand, die Villa Vigoni, die Frankfurter Stiftung für deutsch-italienische Studien und unser Master.
Im Rahmen der Roundtable wurden Maddalena Fingerle und Sonja Finck von PD Dr. Eva-Tabea Meineke und PD Dr. Robert Lukenda nicht nur zu aktuellen literarischen Tendenzen im Gastland der Buchmesse befragt. Der Fokus der Roundtable wurde vielmehr auf Frankreich und den deutschsprachigen Kontext ausgeweitet. Expertinnen für diese Themen sind Maddalena Fingerle und Sonja Finck auch deshalb, weil es in den von ihnen verfassten bzw. übersetzten Texten viel um Mehrsprachigkeit sowie deren vereinendes, aber auch trennendes Potenzial geht. Der Roman Lingua madre (dt.: Muttersprache), der aus Südtirol stammenden Autorin Maddalena Fingerle erzählt die Geschichte des in Bozen lebenden Paolo Prescher, der dort vor allem unter der geheuchelten Mehrsprachigkeit seiner Herkunftsregion leidet und auf der Suche nach einer unversehrten Sprache ist. Fingerles Text ist dabei selbst mehrsprachig angelegt. Aspekte der Mehrsprachigkeit spielen auch in Sonja Fincks Übersetzungen eine Rolle. Finck überträgt u.a. Texte von Annie Ernaux und Didier Eribon aus dem Französischen ins Deutsche, in denen die Sprache der Mutter bzw. des Elternhauses und die damit verbundene Scham eine wichtige Rolle spielen. Vor diesem Hintergrund wurde bei der Roundtable also diskutiert, was das Wesen von mehrsprachiger Literatur ist und welches grenzüberschreitende Potenzial ihr innewohnt. Die Diskutierenden waren sich einig, dass Mehrsprachigkeit, gerade zu Zeiten erstarkender Nationalismen, kulturelle Vielfalt signalisieren und sich im transkulturellen Kontext positionieren kann.
Im Anschluss an die Roundtable griffen Hannah Birner und Anouk Sonntag im persönlichen Gespräch mit Sonja Finck einige Punkte noch einmal auf und befragten sie zur Thematik des Übersetzens im Allgemeinen. Dabei lag der Fokus auf aktuell relevanten, polarisierenden und problematischen Tendenzen, die die Branche beschäftigen. Die Übersetzerin sprach über ihre Herangehensweise an das Übertragen von Dialekten und verschiedenen sprachlichen Registern, besonders mit Blick auf das Werk Annie Ernaux‘. Sie bekundete außerdem ihre Haltung zur virulenten Debatte über Identität und Relation von Autor:innen und Übersetzer:innen und sprach über die Herausforderungen von KI-gestützter Übersetzung. Das Gespräch illustrierte die Literaturübersetzung beispielhaft als Spiegel unserer sich stetig wandelnden Gesellschaft und gab spannende Ausblicke auf die Zukunft der Branche, die noch lange nicht obsolet ist.
In Der Geruch von verbranntem Eukalyptus (Orlanda Verlag) erzählt Ennatu Domingo aus ihrem Leben als Mädchen im ländlichen Äthiopien, ehe sie nach dem Tod der Mutter und des Bruders als Siebenjährige Anfang der 2000er-Jahre von einer katalanischen Familie adoptiert wird. Als Erwachsene lässt ihr die Frage nach den Ursachen für das Elend der äthiopischen Landbevölkerung, vor allem der Frauen, keine Ruhe.
Wir diskutierten mit der Autorin über Identität und die Bedeutung von Sprache. Auch die Übersetzungen ihrer Werke und ihre Arbeit in europäischen Thinktanks haben uns interessiert. Für die Moderation der Abendveranstaltung am 18.10.2024 in der Romanfabrik danken wir dem Journalisten, Autor und Übersetzer Michael Ebmeyer. Lesung und Diskussion wurde großzügig vom Orlanda Verlag (Berlin) und dem Institut Ramon Llull (Berlin) unterstützt.
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